Der Hausberg von Liberec
Weder Hunsrück, Taunus, Vogelsberg, Rhön, Thüringer Wald noch die Sächsische oder Böhmische Schweiz weisen Berggipfel mit einer Höhe von über 1.000 Metern auf. Wer auf dem E 3 von West nach Ost wandert, steht am östlichen Rande des Zittauer Gebirges am Jeschkenberg (Jestéd) vor der höchsten Herausforderung seit über 800 Kilometern Wanderstrecke. Wer dem E 3 allerdings auf der Böhmischen Variante durch das Erzgebirge folgt, hatte mit dem Keilberg (Klínovec – 1247 m) bereits höhere Regionen erklommen.
Höhere Regionen warten auf die E-3-Wanderer auch im Abschnitt durch das Isergebirge, der in Liberec (Reichenberg) beginnt. Und der Jeschkenberg ist der Hausberg der Liberecer.
Nicht die Höhe ist das herausragende, sondern das, was auf seinem Gipfel steht. Der außergewöhnliche Fernsehturm, eine Kreation des Architekten Karel. Hubácek, wurde unter anderem mit dem begehrten Auguste-Perret-Preis ausgezeichnet. Der 100 Meter hohe Tum ist in Tschechien nationales Kulturdenkmal und „Bauwerk des Jahrhunderts“.
Nach wie vor bemüht sich die Stadt Liberec um die Ernennung zum UNESCO-Weltkulturerbe. Auf alle Fälle ist der Turm das neuzeitliche Wahrzeichen der 120.000-Einwohnerstadt Liberec, auf die man im Osten wie aus einem Flugzeug blickt.
Der Aufstieg ist von allen Seiten natürlich recht anspruchsvoll. Am schwersten ist er vom Liberecer Stadtzentrum, das unter 400 Metern Seehöhe liegt. Alleine bis zum westlichen Stadtrand bei Horni Hanychov (Oberhanichen) geht es auf etwa 7 Kilometern kontinuierlich bergauf bis auf 520 Höhenmeter. Diese Strecke kann man bequem und billig (ca. 1 Euro) mit der Straßenbahn (Liníe 3) überwinden.
Und auch für die fehlenden Höhenmeter gibt es eine bequeme Alternative: Die Kabinenbahn.
Um diese zu erreichen, muss man die Fußstrecke bis zur Parkebene P1 überwinden (ca. 80 Höhenmeter auf einem Kilometer). Von dort sind es nur noch ein paar Schritte bis zum Kassenhäuschen. Dort verlangt man 99 Kronen (weniger als 4 Euro – Stand April 2017) für die vierminütige Fahrt, die 400 Höhenmeter in nur vier Minuten überwindet und stellenweise bis zu 30 Meter über dem Hang schwebt.
In einem Prospekt erfahren wir, dass der Gipfel bereits seit über 80 Jahren mit der Seilbahn erklommen werden kann. Sie wird heute von der Gesellschaft Ceské Dráhy betrieben und kann bis zu 3000 Menschen an einem Tag in die Höhe befördern. In der Hauptsaison wird Reservierung empfohlen.
35 Personen passen in eine der Seilbahnkabinen, und diese verkehren in der Nebensaison stündlich. Die Fahrt ist recht angenehm, sofern keine Höhenphobie vorliegt. Der einzige Sitzplatz ist für den „Schaffner“ bestimmt. Wir haben jedoch erlebt, dass dieser jenen Platz auch für behinderte Fahrgäste zur Verfügung stellt.
Etwas ruckelig ist die Einfahrt in das imposante Bauwerk, das Aussichtsturm, Fernsehturm, Restaurant und Hotel in sich vereint. Man geht auf der Zufahrtsstraße ein Stück aufwärts und kann rund um den Turm ein herrliches Panorama erleben. „Eines der schönsten in ganz Tschechien“, wird im Prospekt behauptet.
Man kann Pech haben und rund um den Turm nur Nebel sehen. Wir hatten Glück mit strahlendem Sonnenschein bei winterlicher Kälte. Der Gipfel war noch leicht schneebedeckt. Oft aber wird auch mit dem „Genuss über den Wolken“ geworben. Dieser Satz steht auf der Speisekarte des futuristisch konstruierten Gastrobereiches. Hier gibt es eine reiche Auswahl an Speisen und Getränken, alles zu keineswegs übersteigerten Preisen.
Am Rande eines großem Aussichtsplateaus erstaunte uns die Skulptur eines sitzenden Mannes mit einer Art Tiefsee-Taucherhelm und Blick nach Südwesten besonders. Ob es einen Marsmenschen oder Astronauten darstellen soll, wissen wir nicht. Irgendwo auf einer Info-Tafel wurde diese Skulptur näher erläutert, allerdings nicht auf deutsch.
Zur Geschichte erfahren wir bei wikipedia, das 1838 auf dem Gipfel der noch vorhandene Rohanstein errichtet wurde, der einst als Grenzstein diente. Schon 1844 gab es eine Hütte auf dem Gipfel und im Jahr 1906 erbaute der Deutsche Gebirgsverein ein Berghotel für das Jeschken- und Isergebirge. 1933 wurde die Jeschkenseilbahn eröffnet. Zunächst war es ein Liftbetrieb, erbaut von der Firma Adolf Bleichert & Co aus Leipzig. Ab 1962 wurden zwei Kabinen eingesetzt, die von 1972 bis 1975 grundlegend modernisiert wurden. Es ist die zweitälteste Seilbahn in Tschechien und die einzige, die von der Tschechischen Staatsbahn betrieben wird. Das Hauptkabel hat einen Durchmesser von 5 cm. Bei einer maximalen Steigung von 55,8 Prozent bewegen sich die Kabinen mit 10 Metern pro Sekunde. Die exakte Streckenlänge beträgt 1188 Meter. Jährlich befördert die Seilbahn eine Viertelmillion Personen auf den Gipfel.
Der Jested ist nicht nur Tourismusmagnet, sondern auch ein Sportler-Eldorado. Vier Skilifte sind im Winter in Betrieb, dazu gibt es eine Biker-Bergrennstrecke. Leider unentdeckt blieb für unsere Gruppe die Skisprungschanze, auf der regelmäßig Weltcup- und Continentalcup-Springen ausgetragen werden.
Das Stadion hat Platz für 10.000 Sportfans, bisheriger Rekordhalter ist der deutsche Kombinierer Eric Frenzel mit einem Satz über 140,5 Meter im Jahr 2008. Unter anderen trugen sich hier Jens Weißflog, Toni Innauer, Thomas Morgenstern, Janne Ahonen, Gregor Schlierenzauer, Adam Malysz, Sara Takanashi, Anders Jacobsen, Ulrike Gräßler und zuletzt (2013) Marinus Kraus in die Siegerliste ein. Neben der Großschanze (Hillsize 134 m) gibt es noch eine kleiner Schanze, die vom tschechischen Skiverband zu Trainingszwecken genutzt wird.
Einkehr- und exklusive Übernachtungsmöglichkeit
Hotel Jéstéd
Horni Hanychov 153
46007 Liberec 7
Tel. + 420 485 104 295
e-Mail: recepce@jested.cz
GPS-Koordinaten:
50 Grad 43.57.69 N
14 Grad 59.40.91 E